Informationsmaterial

Stapel Broschüren

Autistische Menschen verstehen lernen I

Stuttgart 1999, Neuauflage 2008

Stapel Broschüren

Autistische Menschen verstehen lernen II

Erweiterte und aktualisierte Neuauflage, Stuttgart 2008

Autistische Menschen stützen

2008 erschien nach langer, intensiver Vorarbeit einer Arbeitsgruppe von autismus Stuttgart die Broschüre „Autistische Menschen stützen“.

Es war damals eine gut begründete Entscheidung, den Begriff „Gestützte Kommunikation“ (FC) im Titel durch die Formulierung „Autistische Menschen stützen“ zu ersetzen. Wir wollten uns bewusst von dem Streit um die gestützte Kommunikation absetzen. Nichtsprechende, aber schreibende autistische Vereinsmitglieder und die Personen, die sie „stützten“ hatten uns gelehrt, dass das „Stützen“ des Körpers bzw. eines Körperteils eine viel weiter reichende Bedeutung für sie hatte, als das Stützen beim Schreiben nahelegte.

Was wir damals in der Broschüre veröffentlicht haben, ist keinesfalls überholt. Wir möchten trotz der alten Werbung, die 2008 notwendig war, um den Druck zu finanzieren, zur Lektüre der Broschüre ermutigen.

Äußerungen 2016 über das gestützte Schreiben

Wir haben einige autistische Vereinsmitglieder, die schreiben, gebeten, uns mitzuteilen, was sie 2016 über das gestützte Schreiben denken. Zum Lesen bitte Titel anklicken:

Ich habe im Laufe meines Lebens viele autistische Menschen kennengelernt, sowohl Kinder als auch Erwachsene. In vielen Fällen ist mir der wache Blick dieser Personen aufgefallen. Alle hatten irgendwann die Diagnose Geistige Behinderung bekommen. Das bedeutet: gravierende Intelligenzminderung (IQ 50 und weniger). Da kann etwas nicht stimmen. Und darum bin ich dafür, bei Kindern, die normale Lernangebote nicht annehmen, es mit dem Stützen, dem physischen Kontakt, zu probieren. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass ich erst dann gezielt etwas tun konnte, wenn ich angefasst wurde.

Der Begriff „Stützen“ in der Bedeutung, dass ein Körperteil berührt wird, um eine Aktivität zu beginnen oder aufrecht zu erhalten, wird in der Regel auf das Tippen auf einer Tastatur oder das Zeigen auf Buchstaben, die auf einer Tafel angeordnet sind, bezogen. Das aber ist eine einseitige Sichtweise, die verkennt, dass bei manchen Personen im Autismus-Spektrum nicht selbstverständlich ist, welcher Körperteil gerade aktiviert, d.h. innerviert werden muss. Eine gestörte Körperwahrnehmung kann dazu führen, dass keine Aktion möglich ist, wenn der Körperteil, der ins Bewusstsein rücken muss, nicht von einer anderen Person berührt wird.

Manchmal reicht ein „Anschieben“, um z.B. den Arm zu heben und die Hand zielgerichtet einzusetzen. Es ist aber ein langer Weg, bis es Sinn macht, die Gestützte Kommunikation einzusetzen. Etliche Lernschritte gehen voraus.

Es ist noch kein FC-Nutzer vom Himmel gefallen. Bis eine Verständigung über Zeichen – Buchstaben sind Zeichen – möglich ist, vergehen einige Jahre. Das Kind lernt Vieles, bevor Buchstaben seine Neugier wecken können. Ganz wichtig ist, etwas mit den Augen festzuhalten, um dann den Arm in Bewegung zu setzen und mit dem Zeigefinger auf den Gegenstand oder ein Bild zu zeigen. Es geht um die Auge-Hand-Koordination. Ohne physische Unterstützung gelingt diese Koordinationsleistung autistischen Kleinkindern oft nicht. Angestrebt wird, dass das Kind spontan auf etwas zeigt und sein Gegenüber dazu bringt, auch hinzuschauen. Das nennt man dann „geteilte Aufmerksamkeit“.

Ich musste als Kleinkind an allen Körperteilen „gestützt“ werden. Es muss begonnen haben in einer Zeit, an die ich kaum Erinnerungen habe. Aber wenn es stimmt, dass ich ein absolut inaktives Kleinkind war, dass ich mich nicht in Bewegung setzte, dann kann es gar nicht anders gewesen sein, als dass mich meine Mutter ständig angefasst hat, damit ich aus der Lethargie herauskam. Sie hat mich „gestützt“. Das Stützen, die Berührung meines Körpers, muss es möglich gemacht haben, dass meine trägen, unentwickelten Nerven in Gang kamen, sich mehr und mehr vernetzten. Ich spreche von der „Kraft der Berührung“, die auch noch im fortgeschrittenen Alter wirksam sein kann. Man stelle sich vor, dass aus irgendeinem Grund an bestimmten Tagen – vielleicht wetterbedingt – die Nervenimpulse stecken bleiben. Dann braucht jemand, der schon geschrieben hat, ohne gestützt zu werden, wieder eine Stützperson.

Weil das Nervensystem bei Menschen im Autismus-Spektrum unzuverlässig arbeitet, ist es gar nicht möglich, wissenschaftlich-experimentell zu beweisen, wie weit der Stützer oder die Stützerin die Buchstabenwahl beeinflussen kann. Wichtig wäre es, die kommunizierten Inhalte zu analysieren.

Endlich bin ich der Mensch, der mit anderen seine Gedanken und Gefühle austauschen kann, und ich bin nicht der sprachlose Betreute, der nach gut überlegten Anweisungen zu reagieren hat.
 
Ich kann mich treffend äußern und kann zeigen, dass ich selbstständig denken kann und Freiheit wie andere sehr liebe, um mit meinen Möglichkeiten ein sinnvolles, erfüllendes Leben zu leben.
 
Mit dem Schreiben kann ich Partner sein, um mit der Hilfe eines Anderen dem Autismus nicht den traurigen Triumph zu geben über mich, sondern gemeinsam immer wieder Wege zu finden, der Freude im Leben wach zu begegnen und der Begrenzung die grausame Enge zu nehmen.
 
Über das Schreiben kann ich den lebendigen Kontakt zu anderen finden, neue Welten kommen in mich hinein und machen mich reicher und ich kann immer antworten.
 
Intensiv erlebe ich kostbare Beziehungen.
 
In Stummheit gefangen, erlebe ich doch die großartige Chance – ich bin ein Sprechender!
 
Menschlicher wird mein Leben und ich kann es, in mir den Druck der Einsamkeit und Fremdheit bekämpfend, außen in ersehnter Akzeptanz erfahrend, annehmen!
 
L.B.
Nun will ich wieder etwas zu Deinem Aufsatz sagen. Ich habe sehr viel über den Begriff “Stützen” nachgedacht. Spontan ist mir noch eingefallen:
  • an Kinderfahrrädern werden manchmal Stützräder angebaut.
  • Toni hat Orthesen an den Beinen.
Dann habe ich mal nachgesehen, welche Synonyme im Duden zu “Stützen”: und “Unterstützen” zu finden sind. Ich denke auch an Eure Broschüre “Autistische Menschen stützen”. Ich denke daran, wie ich Toni jeden Tag, bei fast jeder Handlung, die er machen soll, zur Seite stehe. Welcher Begriff beschreibt nun besser, was gemacht werden soll, “stützen” oder “unterstützen”? Geht es nicht darum, dass ein Defizit ausgeglichen werden muss, indem eine andere Person Hilfestellung leistet, und zwar so, dass sich die Person, die die Hilfe benötigt, selber als handelnde Person erlebt? Ich finde, der Begriff “unterstützen” passt mindestens genau so gut. Ich habe mir mal überlegt, wie ich (ich kann nicht gut englisch, musst Du wissen) Facilitated Communikation übersetzen würde: “Kommunikation ermöglichen, erleichtern und fördern.” Und würde hinzufügen: “Mit allen zur Verfügung stehenden Techniken und Hilfsmitteln; wenn erforderlich, auch durch persönliche Hilfestellung.” Ich muss dabei an Kerckove denken, der sein Seminar “Funktionierende Kommunikation” nennt. Warum schreibe ich das? Ich finde, es ist richtig, immer wieder darauf hinzuweisen, welche besondere Hilfe autistische Menschen immer wieder, ständig, ihr ganzes Leben, benötigen. Anscheinend kann man das gar nicht oft genug tun. Aber es stimmt mich nachdenklich, von Euch zu hören, wie sehr FC bei Euch schlecht gemacht wird. Das bestärkt mich, es hier bei uns so weiter zu betreiben wie bisher schon, nämlich alles unter dem Begriff “Unterstützen”, als UK, zu proklamieren. Aus einem Brief:Es ist doch wirklich wahr, dass sich durch Kommunikation die Welt verändert. Wir erleben so viele schöne, wichtige Gespräche mit unserem “nichtsprechenden” Familienmitglied, und die ganze Handhabung der Situation wird dadurch eine völlig andere.“Aber ich bin immer mehr gerne mit Toni zusammen, erlebe viele Situationen, die mich sonst geärgert, genervt und hilflos gemacht haben, nicht mehr so, kann mit Toni inzwischen darüber reden und kann immer mehr kennenlernen, welches Erleben für ihn hinter allem steht. Toni wird immer mehr ein guter Freund, mit dem ich gerne zusammen bin.“ F. Nemitz, Vater eines 16 jährigen Autisten

Lieber Dietmar Zöller!

(…) Armin schreibt, seit er den Stützerwechsel mit Frau B. hatte, so gut wie nicht mehr.

Er hat immer wieder gesagt bekommen, daß er hinschauen muß beim Schreiben und niemand hat Ihm so recht geglaubt, dass er es ist, der da schreibt. Auch  ich hatte nicht viel Ruhe, mich mit Ihm hinzusetzten und zu schreiben.

Vielleicht lag es auch an meiner Unruhe.

Nun so wie es ist, ist es halt.

Er ist jetzt in einer Einrichtung Vollzeit untergebracht und nur alle 2 Wochen das Wochenende zu Hause. Da haben wir dann auch manchmal Zeit zu schreiben.

Er antwortet viel mit Ja und Nein. Aber ich hab ihm die Fragen gestellt. Nun die Unterhaltung mit Armin.

Dietmar Zöller fragt:
-Hat dir das Schreiben geholfen?

Nein

-War es am Anfang mit Frau B. gut?

klar

-Hast Du da gerne geschrieben?

Ärgere mich 9 mal dass ich sie nie gelobt hab.

– Willst du das noch machen?

ja

– Was sagst du da?

komm

-Ist das dein Lob?

ja

– Was Dietmar meinte ist, ob du froh warst, dass du mitreden konntest?

mich ließ man nicht ausreden zu fatzke

-Dann hast du lieber aufgegeben?

nein/ja

-Sollen wir das wieder öfters machen?

ja

(…)

Dietmar fragt:
Wie geht es dir jetzt mit dem Schreiben?

Nur ich bin laut lauf verjagt

-Weil du schreiben willst?

ja

-In der Einrichtung darfst du nicht schreiben?

ja

-Musst du deshalb laut sein und Haare ziehen und beißen?

ja

-Die meinen, du bist überfordert mit dem Schreiben. Stimmt das?

nein

-Wie kann man das ändern?

(…) mit liebe

-Du bekommst jetzt auch andere Medis. Geht es dir damit besser in deinem Körper?

nein

-Kannst du Deine Umwelt besser wahrnehmen; bist du wacher?

ja

-Wie ist das? Geht es jetzt für dich auch wieder besser zu schreiben?

nur heute ist ruhe love

 

Ihre Bücher und Aussagen haben mir sehr viel geholfen, das Autistischsein von Armin besser zu verstehen. Sie haben viele Gemeinsamkeiten. Oft konnte ich Armin in Ihren Aussagen wiedererkennen.

Vielen vielen Dank dafür

Liebe Grüße
G. Dierolf

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